Auf dem Plateau über der Schlucht geht es weiter Richtung Debed Tal. Am Weg liegt das ziemlich verfallene Hnevank Kloster. Dort treffe ich eine kleine Familie: Großmutter, Papa, Sohn und Goggelhahn.
Letzterer wird (noch) lebend an den Füßen gehalten um die Kirche getragen, rein, raus, rundherum, hört gar nicht mehr auf. Wir kommen ins Gespräch und man erklärt mir was vorgeht. Der Sohn hatte einen Unfall, irgendwo ist eine Stromleitung
herunter gehängt und er hat sich beim Spielen die Schulter am Strom verbrannt. Aus Dank für sein glückliches Überleben hat man gelobt ein Opfer zu bringen. Heute ist der
große Tag, der Hahn muss zuerst 3 oder 7 mal um die Kirche getragen werden und wird dann geopfert. Zuhause wird er dann gekocht (auf keinen Fall gegrillt) und an die Nachbarn verteilt. Ein recht weit verbreitetes Ritual, hab ich später noch oft gesehen. Die armenisch orthodoxe Kirche ist somit die einzige mir bekannte christliche Kirche in der
es Tieropfer gibt. Die Kirche ist aber eigtl. eine
Georgische, zu erkennen am orthodoxen Kreuz. Die
armenische Kirche hat irgendein Kirchenkonzil nicht
mitgemacht, und hält daher noch am lateinischen Kreuz
fest. Einzigartig dürfte auch sein, dass es die
Dreifaltigkeit hier nicht gibt, sondern Jesus einfach
nur Gott ist.
Über wunderschön steil in den Hang gehauene Serpentinen auf Schotterstraße geht es runter ins Debed Tal. Es schaut wieder nach Regen aus und ich entscheide mich gegen die Fahrt nach Norden
(Alaverdi) und entlang der asserischen Grenze Richtung Sevan,
sondern fahre zurück Richtung Süden. Neben dem Wetter ist mir jetzt doch auch unwohl wegen asserischer Snipers die angeblich gerne Ziele in Grenznähe beschießen und bei dem
Höhenprofil bedeutet die Nordroute 2 Tage Umweg, mir läuft die Zeit davon, der Weg in den Süden ist ein weiter.
In Vanadsor versuche ich wieder erfolglos bei
verschiedenen Bankomaten an Geld zu kommen. Wie schon in
Erevan und am Flughafen wird weder meine ukrainische
noch meine österreichische Bankomatkarte honoriert. Mein
Bargeld ist knapp, ca. 25 USD pro Tag müssten reichen
wenn ich keine Bank finde.
Nach Vanadsor sollte es wieder recht flach sein, doch
flach gibt es in Armenien nicht. Wieder auf und ab, die
Sonne brennt jetzt wieder, an altrussischen Dörfern
vorbei (ähnlich wie in Österreich und Deutschland
Evangelische nach Rumänien ausgesiedelt wurden, wurden
im zaristischen Russland Altgläubige im Kaukasus
angesiedelt). Das Klima in dieser Höhenlage dürfte dem
russischem entsprechen, überall werden rote Rüben und
Erdäpfel verkauft, und sogar Birken hat man gepflanzt.
Die Altrussen lehnen angeblich die Moderne ab und leben
noch wie im 19. Jahrhundert. Anders als ihre Landsleute
in Russland stehen sie im Ruf begabte, verlässliche und
genaue Handwerker zu sein.
In Dilijan finde ich das wahrscheinlich beste B+B auf
meiner Reise. 2 Schweden und deren 2 armenische
Reiseführer sind auch hier. Der armenische Reiseführer
hat ein eigenartiges Hobby zu seinem Beruf gemacht: er
ist Schmetterlingsammler. Viel erfahre ich übers
Schmetterlingsammeln, z.B. dass es die meisten
Schmetterlingsammler in Tschechien gibt und man dort
richtige Schmetterlingsammelreisen organisiert. Armenien
dürfte diesbezüglich ein heißes Pflaster sein, mein
Informant hat schon 3 neue Arten entdeckt, eine davon
wird jetzt nach ihm benannt. Und für gute Exemplare kann
man wirklich gute Preise erzielen, das geht bald mal
über hundert Euro pro Schmetterling. Auch hier regiert
Angebot und Nachfrage, und das Angebot wird kürzlich
gering gehalten, indem gute Schmetterlingsgebiete
(ähnlich dem Schwammerlsuchen bei uns) geheim gehalten
werden. Und wenn man einen größeren Fang gemacht hat,
wirft man zuerst mal nur ein paar auf dem Markt zu hohen
Preisen und steigert dann in den Folgejahren langsam das
Volumen und senkt die Preise. Skim the cream heißt das
in modernen Marketinglehrbüchern... Und ohne GPS
geht heute beim Schmetterlingsammeln selbst in Armenien
nichts mehr.
Meine GPS Aufzeichnungen für diesen Tag sind auch
verschwunden, vielleicht vom Schmetterlingsammler
gelöscht.