Da mich meine Vermieterin wieder rausschmeißt, geht es
weiter. Neuer Tag, neuer Pass, aber ich bin müde, ich
fahre nicht über den nächsten Pass (der mir als relativ
hart beschrieben wurde) weiter Richtung Süden sondern
mache einen Abstecher nach Jermuk, das etwas tiefer als
der Pass liegen soll (genaues ist nicht rauszufinden)
und jedenfalls nicht so weit ist. Einen gemütlichen Tag
nehme ich mir vor, quasi zur Erholung.
Nach Jermuk gibt es 2 Straßen, die alte westlich des
Flusses in der Schlucht und die neue, östlich des
Flusses, über der Schlucht. Laut Reiseführer sei
besonders die alte Straße ein Erlebnis, man brauche aber
einen 4x4. Ein Erlebnis - ja, mit 4x4 - nein, es gibt
besonders im oberen Teil immer wieder Steinstürze über
die man das Rad tragen muss, einmal so hoch, dass
ich fast nicht rübergekommen wäre und schon an eine
Umkehr dachte. Aber landschaftlich wirklich traumhaft,
man ist in einem Canyon, unten rauscht der Fluss, oben
riesige Steinwände und wieder kreisende Raubvögel.
Am Weg liegt das Kloster Gndevank, wieder wunderschön,
hier ist man mutterseelenallein und man fragt sich schon
warum man ausgerechnet dort ein Kloster gebaut hat. Bei
der Rückfahrt vom Kloster zur Straße passiert
eigenartiges. Es geht bergab, schlechte Schotterstraße,
ich bin gerade dabei mich in die Pedale zu klicken,
als mich eine innere Stimme zwingt mich auf den Weg zu
konzentrieren. Ich schau genau, da ist aber nichts, denk
ich mir und kontrolliere weiter ob ich auch nichts
vergessen habe. Schau genau, sagt mir diese innere
Stimme wieder und mir ist jetzt richtig unwohl zumute,
ich fühle eine bevorstehende Gefahr. Und jetzt sehe ich
sie auch: 3m vor mir überquert eine ca. 80cm lange
schwarze Schlange den Weg. Ich kann noch rechtzeitig
Stehen bleiben, einen guten Meter vor meinem Vorderrad
ringelt sie sich in aller Ruhe vorbei, schaut mich an,
und verschwindet. Lange muss ich darüber nachdenken.
A) was wäre passiert wenn ich sie überfahren hätte
(hätte sie auf mein Vorderrad geschnappt oder auf
meine Füße?)
B) was hätte ich gemacht, wenn sie mich gebissen
hätte. Wahrscheinlich wäre ich einfach nur gestorben
(wenn sie giftig war, was die meisten armenischen
Schlangen sind), weil bis zum nächsten Menschen
hätte ich auch im unverletzten Zustand mind. 2
Stunden gebraucht.
C) wie selbst ein zivilisationsgeschädigter Mensch
noch immer Urinstinkte in sich hat. Schlangen waren
nie ein Thema in meinem Leben, trotzdem gibt es im
Hirn offenbar einen Filter der diese Tiere auch
unbewusst wahrnimmt und dann Gefahr schreit. Bewusst
hab ich sie erst nach dem zweiten mal
Schauen wegen innerer Stimme wahrgenommen.
Deutlich müder als erwartet komm ich endlich nach
Jermuk. Es ist ein alter sowjetischer Kurort mit
Thermalquellen und sowjetischen Sanatorien. Zwei
davon machen einen renovierten Eindruck, vor dem
ersten nur Luxusautos, ausgebucht. Im zweiten ist
ein Zimmer frei. Rezeption marmorgetäfelt vom
Feinsten, aber das Zimmer - 30 Jahre nichts getan,
und das hoteleigene Thermalbad wird um 17-00
geschlossen. Es ist 17-05. Die potemkinschen Dörfer
gibt es nicht nur in der Ukraine. Ich ziehe weiter
in ein nicht renoviertes Sanatorium, in meinem
Luxuszimmer gibt es von 8-10 sogar Warmwasser.
Im Kurort wird eifrig gekurt, es gibt einen
zentralen Palast aus dem verschieden heißes
Mineralwasser kommt. Wenn man nur irgendwie darin
baden könnte! Aber in allen Sanatorien ist um 17-00
mit dem Baden Schluss. Danach geht man Abendessen,
und dann im Park spazieren und Wasser schlürfen. So
war es seit 70 Jahren, und so wird es die nächsten
70 Jahre bleiben. Zum trinken werden spezielle
Gefäße verkauft, die ein wenig an eine WC Ente
erinnern, keine Ahnung warum.